Fromm oder fröhlich? Von einem angeblichen Widerspruch

Die gängigen Meinungen sind klar: Gläubige Menschen lachen nicht. Sie sind sehr ernst. Ihnen geht es um was. Immer. Sie lächeln höchstens mal milde und demonstrieren damit ihre eigene Überlegenheit. Leute mit Humor dagegen haben keinen Respekt, denen ist nichts heilig. Sie machen sich lustig, auch, wenn sie es vielleicht gar nicht sind. Doch was, wenn Glaube und Humor einander ähnlich sind? Oder sogar gleich? Das klingt seltsam – aber hier könnt Ihr lesen, wieso das so ist. Oder zumindest sein könnte. Und das in einem sogar ziemlich lustigen Text!

Text ursprünglich erschienen 2020

Glaube und Humor

Ein Priester, ein Rabbi und der Papst kommen in eine Bar. Fragt der Barkeeper: „Soll das ein Witz sein?!“.

So ist das wohl: Fromme Menschen gelten an sich als unlustig, werden aber ihrerseits oft zum Ziel von Gespött.

Glaube und Humor passen angeblich nicht zueinander – so die allgemeine Ansicht. Wer etwas glaubt, begibt sich nämlich damit automatisch in einen kritikfreien Raum. Der ist unangreifbar. Der lacht auch in der Regel nicht selbst, er lächelt milde. Er hat auf jede Frage eine Antwort. Er ist mit der Welt im Reinen. Er hat den Widerspruch gelöst zwischen der Vorstellung von dem, wie die Welt sein könnte und dem Zustand, in dem sie sich befindet. Wir aber lachen über ihn, wenn und weil wir dies nicht nachvollziehen können.

Wer glaubt, hat aber auch die Lücke geschlossen zwischen dem, was zu verstehen oder allgemein bekannt ist und dem, was uns zu hoch ist. Dem Glauben voraus geht nämlich stets die Erkenntnis, dass wir nicht alles wissen und nie alles werden wissen können. Ja, und manches will man bekanntlich auch gar nicht wissen.

Der Humor allerdings braucht dieselbe Einsicht: Das ist unverständlich. Da stimmt was nicht. Das ist zu schlimm, das ist uns zu hoch, das ist zu viel, da ist was faul. Genau wie der Glaube braucht auch das Gelächter Missverhältnisse – jeder Art, optisch, akustisch, wie auch gesellschaftlich. Lachen ist das ultimative Ventil. Dort entweicht Druck jeder Art. Die Emanzipationsbewegung löst eine ganze Welle aus von Scherzen auf Kosten von Blondinen, die Wiedervereinigung schafft den Ossi-Witz.

Insofern haben Glaube und Humor dieselbe Wurzel. Beides sind Werkzeuge, um den Widerspruch aufzulösen, in dem wir Menschen uns befinden. Mit uns selbst und unserer Umwelt.

Organisierter Glaube führt dieses Prinzip wiederum ad absurdum: Da werden Strukturen geschaffen, eine Institution, Lehren, Rituale, Heiligtümer, um Gott sichtbar zu machen, ihm eine dauerhafte Gestalt zu geben und in die irdische Realität zu übersetzen. Das ist lächerlich. Daher ist jede Religion in sich schon ein Witz. Gott ein Haus zu bauen, ist Hybris. Und wird bestraft. Mit Kirchenkabarett.

Jeder Witz dagegen ist wie ein guter Glaube: Er hilft, die eigene Unwissenheit und Ohnmacht zu ertragen – und sei es dadurch, die Unvollkommenheit anderer oder der Welt an sich zu zeigen. Es geht um das Blankziehen, um die Demonstration von Dysfunktionalität. Humor ist die ultimative Relativierung: Stellt die Mächtigen bloß und gibt den Ohnmächtigen Kraft: Zumindest für die Dauer einer Pointe sind sie auf Augenhöhe.

Zuletzt feierte der Glaube in Form alternativer Fakten ein phänomenales Comeback. Verschwörungstheoretiker, Naturmystiker und Endzeitprediger fanden angesichts einer Pandemie unerwartete Verbreitung. Vegane Köche oder verwirrte Popsänger leugneten schlicht die Existenz des Virus und hielten vielmehr internationale Verschwörungen für plausibler, in denen chinesische Telefonfirmen, amerikanische Milliardäre und die Pharmaindustrie organisiert zusammenarbeiten. Leider kein Witz.

Letztlich aber folgten die meisten Menschen hierzulande dann doch sicherheitshalber lieber der Regierung Merkel, die dazu aufforderte: „Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen.“

Aber allen gemeinsam war klar: Es muss geglaubt werden. So mag das sein.

Aber nur, wenn er auch befreit – so wie das Lachen. Dieses darf uns nie und nimmer vergehen. Denn die entscheidende Schlacht wird immer noch geschlagen im Angesicht von Krankheit und Tod. Erst, wer wirklich bedroht ist und um sein Leben fürchten muss, kann zeigen, wie frei er ist. Und zwar nicht dadurch, dass er keine Maske trägt. Sondern dadurch, dass er der Letzte ist, der lacht.

Hat Euch „Glaube und Humor“ gefallen?

In „Petri Heil“ gebe ich den Ketzer und stelle die wirklich wichtigen Fragen. Ein Buch, das nicht an Kritik und Spott spart. Aber mit viel Wortwitz und Humor auch neue Perspektiven aufzeigt.