Ja oder nein? Hin oder her? Von unserer teutonischen Zögerlichkeit

Wir Teutonen sind weltweit ja nun eher weniger bekannt für unseren Mut und unsere Risikobereitschaft. Eher für Sicherheitsdenken, Behäbigkeit und übergroße Vorsicht. Wir diskutieren alles so lange aus, bis man die eigentliche Fragestellung vergessen hat. Wir sind versichert bis zum letzten Fußnagel, bequem geworden durch unseren Wohlstand sind wir ohnehin. Wir gelten häufig als unentschlossen, zögerlich und abwartend. Und dies aus Motiven, die teilweise schon in grauer Vorzeit begründet sind – uns aber bis heute bestimmen. Lest hier, wie sich dieses Phänomen nennt und wie es entstanden ist.

Text ursprünglich erschienen 2012

German Angst

„German Angst“ ist ein internationaler Fachausdruck für die unseren Landleuten zugeschriebene eigene Form eines skeptischen Pessimismus. Als Geräusch entspräche sie am ehesten einem tiefen Seufzer. Mit diesem bringen wir zum Ausdruck, dass wir nicht an Änderung glauben und in keinem Falle an eine zum Guten. Und: Dass wir nicht wissen, was wir tun sollen, aber wissen, dass, egal, was wir tun, es das Falsche sein wird. Und tun dann lieber gar nichts. Es ist eine Form von Fatalismus, garniert mit einem Hauch negativer Zukunftserwartung und moralischer Egozentrik.

„German Angst“ entspringt wohl originär der Vorsicht des Nordmannes, der für die kalte Jahreszeit Vorräte anlegen musste, um schlicht nicht zu verhungern. Daher wurde sein Lebenswandel stets geprägt von Vorsicht und Berechnung. Die Bewohner südlicherer Regionen gelten dagegen als glücklicher, aber hungrig.

Neben den alltäglichen, der Depression teilweise ähnlichen Formen erscheint die „German Angst“ auch in der Außenpolitik, als eine Art Zaudern. Deutschland wägt so lange ab, ob Gewalt gegen einen Diktator angewendet werden darf, bis dieser alle Oppositionellen eliminiert und sich damit das Problem erledigt hat. Wir seufzen dann einmal tief und zweifeln andernorts weiter. Unser kollektives Verhalten ähnelt darin auch dem individuellen: Andere Nationen vergleichen unsere Regierungen in ihrer Entscheidungsfreude gerne mit Eltern, die so lange diskutieren, ob sie ihren Kindern das Tischdecken zumuten können, bis diese ausgezogen sind. Bei seiner ersten Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat der UNO war Deutschlands erste Amtshandlung konsequenterweise die Enthaltung. Was Sinn macht, war unser Außenminister doch Mitglied der evangelischen Kirche des Rheinlandes und lag die Entscheidung mitten in der Fastenzeit.

Diese Regeln der „German Angst“ lassen sich ohne Weiteres auch im Privatleben anwenden. Silvester kann man an dutzenden unterschiedlicher Veranstaltungsort Karten oder in Restaurants Sitzplätze reservieren, um dann letzten Endes zuhause mit Freunden einen Spieleabend zu machen. Mit Raclette. Im Urlaub kann man früh aufstehen und Handtücher auf eine Vielzahl von Sonnenstühlen in unterschiedlichen Positionen und Himmelsrichtungen legen, um dann letztlich aber wegen der Hitze doch lieber auf dem klimatisierten Zimmer zu bleiben. Man kann sich nach dem Abitur um unterschiedliche Studienplätze bewerben in unterschiedlichen Fächern und an unterschiedlichen Orten, um letztlich doch den elterlichen Hof zu übernehmen.

Probiert es aus! Eure Zufriedenheit mit dem eigenen Leben wird stetig wachsen, je mehr Möglichkeiten Ihr nicht wahrgenommen habt. Beschäftigt Euch mit Politik, lest die Zeitung und seht regelmäßig die Tagesschau. Seufzt tief und sagt: „Man müsste mal…“ oder „Das kann so nicht weitergehen!“. Und tut nichts. Irgendwann fürchtet Ihr Euch dann sogar davor, überhaupt vor die Tür zu treten. Weil da draußen viele Leute sind, denen Ihr nicht geholfen habt.

Hat Euch German Angst gefallen?

In meinem Buch „Die 33 tollsten Ängste – und wie man sie bekommt“ findet Ihr weitere schöne Sorgen und Befürchtungen zum Nachlesen.